Am zwischen Südalpen
und Mittelmeer traumhaft schön gelegenen Stausee Lac de Saint Croix
erlebten die Nagolder Segelflieger ebenso sonnige wie stürmische Tage.

Im Paradies der Segelflieger: Der „Nagolder Turmfalke“
schleppt die ASK 21 des FSV Nagold über den fantastisch blauen Lac de
Saint Croix.
Der Wind! Dieser
schreckliche, nie versiegende Wind! „Mistral.“ sagt Uli, und breitet die
Arme aus: „Da kann man nichts machen. In Marseille haben sie 100 km/h
Wind.“ Uli kennt sich aus, er fliegt seit Jahrzehnten hier, kennt jedes
Dorf, jeden Berg beim Vornamen. „Normalerweise dauert das drei, sechs oder
neun Tage, keiner weiß warum. Überm Mittelmeer steigt die heiße Luft auf,
vom Festland strömt kalte Luft nach und pfeift durchs Rhonetal wie durch
eine Düse.“ Dann zeigt er wieder auf einen Punkt der Bergkette im Norden.
„Da über der Sternwarte, da geht fast immer was.“ Eine Thermik-Tankstelle,
ein riesiger Lift für Segelflugzeuge. Davon gibt es hier viele, und sie
sind viel zuverlässiger als im heimischen Nordschwarzwald.
Die erfahrendsten
unter den Piloten wollen es wissen und nehmen es auf mit dem Mistral. Ein
erster Schleppzug startet. Vorne krallt sich der Motorsegler mit der
ganzen Kraft seiner 80 PS in die Luft, die schwere, aber auch gutmütige
ASK 21 tänzelt auf der verdorrten Grasbahn hinterdrein. Spät, sehr spät
heben sie ab und drehen sofort nach rechts. Denn hinter dem Platz verläuft
quer zur Startrichtung eine Hochspannungsleitung. Als sei das noch nicht
dramatisch genug, stehen wenig weiter die gewaltigen Sendemasten von
„Radio Monaco“, jeder umgeben von acht dicken Abspannseilen aus Stahl. Der
Schlepp geht gut, es sieht schlimmer aus, als es tatsächlich ist. Aber es
lohnt sich nicht: Der Wind zerfleddert förmlich die aufsteigenden Blasen
aus warmer Luft, macht das Segelfliegen zur Glückssache.
Von der Startbahn zum
Campingplatz sind es nur 200 Meter Fußweg. Kinder toben zwischen Wohnwagen
und Zelten, es gibt jede Menge Platz, außer den Fliegern ist kaum jemand
da. Nebensaison. Trotz der schützenden Pinien-Hecke zerrt der Mistral an
dem als Lagerküche dienenden Pavillon-Zelt. Als die ersten Ecken
ausreißen, hängt ein Teil der Mannschaft die Seitenwände aus. Die anderen
laufen durch die Nacht zum Flugplatz und verzurren die Flugzeuge noch
einmal extra fest.
Besorgter Blick am
nächsten Morgen: Eins, zwei, drei, alle noch da. Doch an Fliegen ist nicht
zu denken. Statt dessen wird gewandert, die Welt besteht nicht nur aus
Flugplätzen. Der Fluss Verdon, der hier zum unwirklich türkisblauen Lac de
Saint Croix aufgestaut ist, hat einen monumentalen Canyon in den Fels
gegraben. Der Wanderweg entlang der Schlucht erweist sich als Abenteuer:
Die 16 Kilometer sind anstrengend wie 40. Einmal geht es hundert Meter
hinunter über eine rostige Stahltreppe, die im Winkel von 80 Grad in einen
Felskamin geklammert ist. Von unten weht ein eisiger Zug, und die Stufen
fallen nach außen ab, krummgetreten von zahllosen Touristen. Geröllfelder
und Steilstücke geben der Tour einen alpinen Charakter, zwei stockfinstere
Tunnel am Ende schließlich wären eine harte Prüfung für jeden
Klaustrophobiker. Geschafft! Die einzigen, die noch gerade laufen können,
sind erstaunlicherweise die Kinder.
Allmählich lässt der
Mistral nach, so scheitert auch das Fahrrad fahren nicht mehr am
Gegenwind. Einmal um den See sind es knapp 60 Kilometer. Die Top-Sportler
im Fluglager schaffen die bergige Tour an einem Vormittag. Endlich wird
auch ausgiebig geflogen. Sobald Mittags die Thermik einsetzt, geht es
gleich rauf bis auf 3000 Meter über Meeresspiegel. Oh, das Meer! Zwei
machen mit dem Motorsegler einen Abstecher nach St. Tropez, sparen sich
aber die vermutlich saftigen Landegebühren. Schöner kann es dort auch
nicht sein. Inmitten der klatschmohngepunkteten Lavendel- und Weizenfelder
leuchtet das blaue Seejuvel, nach Norden zu locken die Berge. Was vom
Flugplatz wie eine einzige Kette von Gipfeln aussieht, entfaltet sich beim
Näherkommen in drei Dimensionen, in Täler und Abgründe, Grate und
Plateaus. Wie magisch zieht es den Piloten, tiefer hineinzufliegen. Lieber
nicht. Noch fehlt die nötige Erfahrung. Nächstes Jahr? Nächstes Jahr! Wir
kommen wieder.
Gerald Nelsen
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