Von einem Quintett, das ausflog, die Sonne zu begrüssen

„Fliegen verbindet!“-  wie wahr: Anlässlich des erstmals ausgeschriebenen Vergleichsfliegens „Nagoldtal-Cup“ lernte sich am letzten Oktoberwochenende 2005 in Nagold ein lustig gemischtes Völkchen Luftsportler kennen.

Sonnenaufgang in FL 100. Der Kunstflug-Michael hat dieses Bild im Frühjahr 2005 aufgenommen und von den Eindrücken solcher Flüge geschwärmt. Der Bericht beschreibt, was aus dem gemeinsamen Vorhaben einiger Unverbesserlicher geworden ist.

Von einem Quintett, das ausflog, die Sonne zu begrüssen

 

„Fliegen verbindet!“-  wie wahr: Anlässlich des erstmals ausgeschriebenen Vergleichsfliegens „Nagoldtal-Cup“ lernte sich am letzten Oktoberwochenende 2005 in Nagold ein lustig gemischtes Völkchen Luftsportler kennen. Und spontan verabredete man sich für den frühen Morgen des Feiertages „Allerheiligen“ gleich zu einem ungewöhnlichen Rendezvous: Der aufgehenden Sonne wollten die Ikarusjünger Richtung Osten entgegenfliegen und den Sonnenaufgang in FL 95 erleben.

 

So etwas soll der Kunstflug-Michael schon mal erlebt haben und hat von den einmaligen Eindrücken, den wechselnden Lichtverhältnissen in der Morgendämmerung und den wunderschönen Blicken auf die nebelverhangene Alblandschaft geschwärmt. Wasser auf die Mühlen der Gleichgesinnten, schnell waren die organisatorischen Notwendigkeiten geklärt: Tom flog mit seinem Trike schon am Vorabend nach Nagold, ebenfalls fanden der Tragschrauber von Klaus sowie das UL von C-42-Michael Platz in der geräumigen Nagolder Halle. Jochen und Pu planten den Flug mit dem UL des Nagolder Vereins, Kunstflug-Michael wollte seine Frau Silvia auf dem Rattel für mancherlei Entbehrungen während der Saison entschädigen. Flugleiter-Michael wurde als Flugplatzchef dienstverpflichtet und Horst sicherte sich den begehrten Platz auf dem Passagiersitz des Tragschraubers hinter Klaus, doch auch diese Medaille hatte zwei Seiten, dazu später mehr.

 

Über eine Woche hielt das goldene Spätherbstwetter schon an und bescherte den Rallyefliegern herrliche Flüge über den Schwarzwald, die Baar, Schwäbische Alb und das obere Donautal. Allerdings wurde das wetterbestimmende Hoch langsam altersschwach und die Meteorolügin kündigte für den entscheidenden Dienstag-Morgen den Durchzug einer Kaltfront aus Westen an. Wohl etwas amüsiert von unserem mutigen Vorhaben erklärte die ansonsten charmante Dame, dass es wohl schwierig werde, am nächsten Morgen die Sonne überhaupt zu finden. Gegen 9 Uhr lokal sei mit Schauertätigkeit zu rechnen, die SC-Wolken in 4.000 ft/GND könnten jedoch einige Löcher aufweisen. Nicht lange wurde über diese destruktive Prognose beratschlagt, man verabredete sich für 06.15 Uhr auf dem Nagolder Flugplatz, um 07.06 Uhr war schließlich offizieller Sonnenaufgang befohlen. Sie würde sich doch daran halten? Das Risiko hielt sich in Grenzen, schlimmstenfalls drohte der Gemeinschaft eben ein vorgezogenes Schlemmerfrühstück in der Kantine.

 

Nach dem Wecker sofort der Blick in die stockdunkle Nacht: Zwar keine Sterne zu sehen, aber dafür viele, auch weit entfernte, Lichter. Wolkenuntergrenze und Sichten geschätzt CAVOK, das Unternehmen schien also machbar. Und wenn jetzt noch zwei Achtel Löcher in der SC-Decke wären, könnte man mit GPS und FIS doch.....Wer kennt sie nicht, die Situationen, in denen der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Wo nicht wahr sein kann, was einfach nicht wahr sein darf!

 

Auf der Fahrt zum Flugplatz gegen 6.00 Uhr dann eine erschreckende Beobachtung im Scheinwerferlicht: Ein kleiner Regentropfen auf der Windschutzscheibe! Nur einer, ein einziger! Vielleicht von einem Baum heruntergefallen? Oder auf der Scheibe kondensierender Nebel, der sich zu diesem Tropfen gebildet hat? Bestimmt! Aber nach dem Abbiegen nach Gündringen die Belehrung: Der Tropfen war kein Einzeltäter und ist nun in bester Gesellschaft! Auf dem 2 km langen Weg zum Flugplatz wurde zwar der Scheibenwischer noch nicht eingeschaltet, aber die Scheibe und das nasse Sträßlein verkündeten ohne irgendeinen Interpretationsspielraum: Es regnet! Zumindest tröpfelt es. Wie gemein, das war doch erst gegen 09.00 Uhr vorhergesagt, also nach unserer Landung, während wir genüsslich gemeinsam frühstücken wollten. So zwischen Landung und Heimflug sollte es regnen dürfen.

 

Alle Besatzungen sind pünktlich angetreten und trafen sich in der Halle. Auf dem blechernen Hallendach machten die paar Tröpflein gleich ein mords Spektakel und suggerierten sogar richtigen Regen. Davon ließen sich die entschlossenen Piloten aber nicht beeindrucken und stellten sogar fest, dass es zwischendurch sogar ganz aufhörte mit der fiesen Tröpfelei. Klarheit verschaffte der erneute Anruf beim Wetterfrosch: Die Kaltfront habe sich verfrüht und müsste jetzt eigentlich genau über unseren Köpfen liegen. Die Sichten und Basishöhen seien zwar ausreichend, aber im Regen am Minimum. Und natürlich auf gar keinen Fall Sonnenaufgang sehen! Das mit dem Niederschlag war unschwer zu glauben, aber wie sah es tatsächlich aus vor Ort mit den Flugmöglichkeiten? Alle VMC im grünen Bereich und ein Flug risikolos möglich? Punkt sunrise starteten Michael und Pu zu einem Erkundungsflug. Beim Start war es trocken, die Front wurde schnell in Richtung Westen ausgemacht. Gegen aufkommenden Südwestwind mit 35 km/h flogen sie bei guter Sicht nach Westen vor bis auf Höhe Pfalzgrafenweiler und gaben den Crews am Boden entsprechende Meldung ab. Die Hauptaussage lautete: Wenn geflogen werden sollte, um den Eindruck der Morgendämmerung aus der Luft zu erleben, dann gleich. Schnell muss unter den am Boden stehenden Einigkeit geherrscht haben, noch vor der Landung der Erkundungsflieger waren alle anderen startbereit. Für den Kunstflug-Michael war dies eine beeindruckende Empfindung: Da hat sich eine wirklich gute Truppe zusammengefunden. Zwar wollte niemand auf Biegen und Brechen und mit irgendeinem Risiko etwas erzwingen, aber eben auch nicht den Schwanz einziehen vor der Erwartung einiger Unannehmlichkeiten wie Kälte oder Nässe auf der Haut. Gruppenzwang diesmal im positiven Sinne – alleine wäre niemand zu diesem Flug gestartet.

 

Pünktlich zur Sonnenaufgangszeit erhob sich die Armada, um wenigstens für einen kurzen Flug das noch verbleibende Wetterfenster zu nutzen. Trike, Tragschrauber, UL’s und Motorsegler versammelten sich in der Südplatzrunde zu ihrem luftigen Abenteuer. Eigentlich sollte wegen des langsamen Trike-Tom erst gegen den Wind vorgeflogen werden, so etwa bis zur Niederschlagsgrenze, um dann vor dieser wieder mit Rückenwind nach Hause zu schleichen. Aber daraus wurde nichts, Richtung Westen gab es nicht mehr viel trockenen Luftraum. Also Richtung Osten, eine große Runde um das hell beleuchtete Nagold herum. Egal, wer wie lange schon als Privatpilot fliegt: Das ist doch etwas ungewöhnliches, in der Luft zu sein, wenn am Boden die Lichter alle schon oder noch eingeschaltet sind. Also wenigstens diesen Eindruck war schon mal gebongt und „im Sack“, nach dieser Runde ging es weiter nach Osten in Richtung Herrenberg. Dem Schönbuchtunnel und dem Rasthof auf der Autobahn einen kurzen Besuch abgestattet und dann weiter über das Haus von Klaus in Gärtringen.

 

Ihren Funksprüchen nach zu urteilen, waren alle Jungs samt Silvia und Hildegard in guter Verfassung und bei bester Laune. Ansonsten gab es koordinierte Wechsel in der Führungsarbeit der Formation, ähnlich dem Radrennfahren. Jeder wollte sich natürlich am Anblick der Armada von hinten ergötzen, wann zum Zeus hat es so was für einen schon mal gegeben oder wird es überhaupt mal wieder geben? Die imaginäre Sonne machte hinter den Wolken doch ihre Winkelgrade am Horizont, es wurde heller. Das nächste Flugziel hieß die Ecke der Stuttgarter Kontrollzone beim Daimler-Benz Werk in Sindelfingen. Auch hier brannten noch die Lichter, ein imponierender Anblick so früh am Morgen.

 

Ab hier musste allerdings umgekehrt werden und zum Rückflug geblasen werden. Nicht nur der Gegenwind, sondern nun auch tatsächlich einsetzender Regen gaben den offen fliegenden Mitgliedern den gewissen Kick. Leider kann dies von den Warmduschern und Schattenparkern in ihren geschlossenen Kisten nicht so richtig nachvollzogen werden. Jedoch ausgeprägtes Mitgefühl sollten Tom, Klaus und Horst schon von ihren Begleitern gespürt haben. Kunstflug-Michael dachte an Erfahrungen auf dem Fahrrad und erinnerte sich, dass es nur solange schlimm sei, bis die Nässe auf der Haut angelangt ist. Auch die Sichten verringerten sich im Niederschlag wie vorhergesagt. Zwar immer noch oberhalb der vorgeschriebenen 1,5 km aber trotzdem ging irgendwie der große Weitblick verloren: Kleinnavigation musste betrieben werden, für die Profis über heimatlichem Terrain natürlich keine allzu schwierige Herausforderung. Kein Grund zur Panik, don’t worry – be happy!

 

In Richtung Herrenberg – diesmal die Autobahn links liegen lassend – mühte sich der Konvoi heimwärts. Noch nie konnte der TL 96 Star mit einem so hohen Anstellwinkel in der Luft fliegend betrachtet werden. Pu und Jochen hatten alle Mühe, trotz gesetzter Klappen mit dem Schneckentempo von Tom’s nassem Trike mitzuhalten. Kunstflug-Michael erging es im Motorsegler ähnlich, dessen Profil seinem Piloten bei Regen seine schweinischen Seiten zeigt. Immer wieder meldete sich im langsamen Flug die Strömung zu Wort und zwang dazu, doch wieder ein paar Kohlen aufzulegen. Über Bondorf war Klaus der Meinung, Michael sei etwas zu weit südlich, der wiederum befand den Qurili leicht rechts neben dem Heimatradial. Über dem Golfplatz zwischen Bondorf und Mötzingen fand man dann doch wieder zueinander, allerdings diesmal mit einer leichten Höhenstaffelung: Der Hubi-Verschnitt spielte seine ganzen Vorteile in punkto Flugeigenschaften aus und begrüsste einen einsamen Golfer im langsamen und tiefen Vorbeiflug. Eines steht wohl fest und hat sich in dieser Begegnung erneut bewahrheitet: Die Suchtkrankheit ist nicht an irgendein Medium gebunden! Es muss dort unten an diesem verregneten Feiertagsmorgen ein – natürlich im positiven Sinne – ähnlicher Verrückter seinem Hobby nachgegangen sein wie seine Artgenossen 150 Höhenmeter über ihm.

 

Der C-42-Michael meldete sich als erster ab und Gab seinem Gerät die Sporen. Er wollte schnell heim nach Durrweiler fliegen und zum Frühstück dann wieder zurück in Nagold sein. Der Rest vom Schützenfest sammelte sich dann zu einem Formationsüberflug über Haiterbach – Nagold airport, um den pflichtbewussten Flugleiter Michael zu grüßen. Vorsorglich hatte dieser in Form der Hallenlichter noch die Landebahnbefeuerung eingeschaltet, was allen Heimkehrern sicherlich bei den allesamt geglückten Landungen geholfen hat. Nach und nach plumpsten alle Flugzeuge bzw. Sportgeräte in die aufgeweichte heimatliche Haiterbacher Flugwiese.

 

Ziemlich genau 1 Stunde hat der ganze Spuk gedauert. Aber es war eine Stunde, die wohl nicht so schnell in Vergessenheit geraten wird. Stolz und Zufriedenheit sind da zu spüren. Stolz, dass man dabei gewesen ist. Stolz, dass man dem Scheißwetter – ausgerechnet an diesem Tag war es so mies– die Stirn gezeigt hat. Stolz, dass man den Entschluss „pro fliegen“ gefasst hat und zufrieden, dass daraus ein so ungewöhnlicher Flug geworden ist. Und etwas Glück und Dankbarkeit ist zu fühlen, dass man diesen Flug mit neuen Freunden machen durfte. Selbst Horst, und das ist die zweite Seite der Medaille, der den zugigsten und nassesten Platz hinter Klaus im Tragschrauber „Emma“ hatte, strahlte über alle Arschbacken über das Flugerlebnis und war zufrieden. Tom im Trike war als einziger bis auf die Haut nass geworden, aber berufsbedingt sind das für den Elitesoldaten wohl eher peanuts.

Allesamt hatten sich beim Frühstück einiges zu erzählen. Jochen hatte eingekauft und war selbst Sonderwünschen nach Weißwürsten mit süßem Senf nachgekommen. Es fehlte kulinarisch an gar nix, alle Geschmacksrichtungen – selbst Schafskäse- und Fleischsalatliebhaber – bekamen ihre Lieblingsspeisen serviert und so auf ihre Kosten. Wie es sich eben als guter Gastgeber gehört, das nächste Mal sind die anderen dran!

 

Das wäre es dann auch gewesen, die meisten verabschiedeten sich von dem offiziellen Teil nach Hause. Wäre gewesen heißt, war es noch nicht ganz. Das Wetter wurde besser und besser, und endlich konnte Kunstflug-Michael bei Klaus seine drückende Verpflichtung einlösen: Flugschulden sind Ehrenschulden! Auf dem Wächtersberger Flugtag hatten sich die beiden kennen gelernt und Michael durfte eine Runde mitquirlen – gegen Bezahlung in Naturalien versteht sich: Im Tausch zum Tragschrauber wurde Klaus zu einer Runde im Kunstflugsegler eingeladen. Schnell wurden dann die spezifischen Unterschiede zwischen Kunstflug und Normalflug deutlich. Das Vertrauen in das Gurtzeug will erst sukzessive aufgebaut werden und auch die negativen Beschleunigungswerte – es waren um die drei - sind nicht jedermanns Tragschrauberpilotensache. Ganz anders völlig unbedarfte und unbelastete Passagiere wie Klausens Freundin Sandra: Der haben explizit diese Fluglagen am meisten Spaß gemacht. Und natürlich Tom, der – bestimmt auch hier wieder berufsbedingt – die negativen G’s zwar registriert, aber im wahrsten Sinne keine Miene verzogen hat.

 

Der Austausch fliegerischer Genüsse wurde perfekt durch die Hubiflüge von Pu und Flugleiter-Michael sowie der TL-96 Premiere von Klaus. Eins steht für alle jedenfalls fest: Das war die erste aber nicht die letzte gemeinsame Aktion. Und wahrscheinlich sind das keine Höflichkeitsfloskeln oder Lippenbekenntnisse, sondern ganz ernst gemeint. Fliegen verbindet eben, wie wahr.

 

Übrigens war am Mittwoch wieder ein wunderschöner Sonnenaufgang zu beobachten – leider auf dem Weg zur Arbeit!

Die Frühaufsteher vlnr: Michael, Silvia, Pu, Horst. Kniend: Tom, Klaus und Jochen. Auf dem Bild fehlen der Flugleiter-Michael, der C-42-Michael und seine Hildegard.

Der Kunstflug-Michael

Michael Zistler

In der Heide 28

72202 Nagold

07459/405136

0163/6349752

 

zistlers@t-online.de